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George Orwells Dystopie – aktuell und übertroffen

15 November 2020, 11:51

Menschen





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George Orwell war Sozialist, warnte aber vor Stalins Überwachungsapparat. Der DDR war er verhasst, Datenschützer berufen sich bis heute auf ihn. Mit Blick auf Smart-Homes und den chinesischen „Social Score“ ist „1984“ bis heute beklemmend aktuell.


 

 

20.April 2018. Im Stadttheater Bielefeld werden die deutschen „Big Brother Awards“ verliehen, benannt nach Big Brother – dem „großen Bruder“, einem literarischen Symbol aus George Orwells Roman „1984“. Die Auszeichnungen sind Negativpreise für besonders schlechten Datenschutz und Verletzungen der Privatsphäre.

Die „Laudatio“ auf den Sprachassistenten Alexa von Amazon hält der Künstler und Netzaktivist Padeluun – und stellt zu Beginn gleich eine Frage:

„Alexa, an wen geht der Big Brother Award 2018 in der Kategorie Verbraucherschutz?“

Das Gerät antwortet prompt: „Der Big Brother Award 2018 in der Kategorie Verbraucherschutz geht an die Firma Amazon, für ihren Sprachassistenten Alexa.“ Zu sehen in diesem Video ab 1:56:40:

 

 

Padeluun weiter:

„Muss ich wirklich begründen, warum eine Abhörschnittstelle, die sich zum Beispiel als Wecker tarnt, aber ein allwissender Butler in fremden Diensten ist, der sich von mir höchstpersönlich ins Schlafzimmer tragen und an das weltweite Überwachungsnetz anschließen lässt, einen BigBrotherAward bekommen soll? Nee, det muss ich nicht, oder?

Die sogenannten ‚Sprachassistenten‘ sind die lästige Ergänzung zum totalen Überwachungssystem, das sich ‚smart‘ nennt, aber teuflisch ist. Es geht gegen meine Freiheit, gegen meine freie Entfaltung, gegen meine Würde. Bald wird es so sein, dass ich, wenn ich auf der Straße spreche, von der Straßenlaterne an der Stimme erkannt werde. Wer ich bin, hat das Gerät „Alexa“ verraten, das mein Stimmprofil aufgesaugt und der großen Big-Data-Krake zum Verdauen vorgeworfen hat. Diese imaginäre Datenkrake weiß dann nicht nur, wen ich besuche, sondern auch, welchen Weg ich nehme, um den Besuch abzustatten.“





„1984“ – Orwells Vermächtnis

„Die Uhren schlugen 13. Es war ein kalter Tag im April. Winston Smith betrat seine Wohnung. Aus einer rechteckigen Metallscheibe an der Zimmerwand, die aussah wie ein etwas angelaufener Spiegel, ertönte die Stimme des Ansagers: ‚Produktion von Rohstahl. Plan 180 Prozent übererfüllt …‘ Es war verboten, dieses Instrument abzustellen. Der Fernsehspiegel, so hieß es, war zugleich Sender und Empfänger. Jeder Ton, den Winston sprach, jede Bewegung, jeder Gesichtsausdruck konnte jederzeit im Hauptquartier der Gedankenpolizei gehört und gesehen werden.“
- aus dem Radiohörspiel „1984“ nach George Orwells Roman (RIAS, 1949)

George Orwells Roman „1984“ erschien im Juni 1949. Der Autor war Sozialist, Spanienkämpfer, sozialkritischer Schriftsteller, Kriegsberichterstatter. Von schwerer Krankheit gezeichnet schrieb er das Buch in der Einsamkeit einer schottischen Insel. Es war sein letztes, ein Vermächtnis.

„Der Erfolg war durchschlagend, auch schon in den ersten Jahren nach seinem Erscheinen“, erklärt Oliver von Knebel Doeberitz, Professor für britische Kulturstudien an der Uni Leipzig. „Der Roman wurde zügig in dutzende Sprachen übersetzt und auch millionenfach verkauft, ebenso wie sein anderes Werk ‚Animal Farm‘, die ‚Farm der Tiere‘. Es gilt ja heute als die bedeutendste literarische Dystopie des 20. Jahrhunderts, gemeinsam mit Huxleys ‚Brave New World‘, ‚Schöne Neue Welt‘, und ist auch eines der am meisten gelesenen Bücher überhaupt.

 

Die Stasi in heller Aufregung

„Über das Häusermeer ragte das riesige pyramidenförmige Gebäude des Ministeriums für Wahrheit. In riesigen Lettern prangte an seiner Wand der Wahlspruch der Partei: Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Kraft!“
- aus dem Radiohörspiel „1984“ nach George Orwells Roman (RIAS, 1949)

Baldur Haase ist Jahrgang 1939. Er lernt den Beruf des Druckers in Saalfeld, Bezirk Gera in der DDR. Auf einem Jugendtreffen in Erfurt lernt er mit 19 Jahren einen jungen Mann aus Westdeutschland kennen, Rainer Markgraf. Die beiden beginnen einen Briefwechsel, und eines Tages bekommt Haase ein Paket, das neben Kakao und Rosinen auch George Orwells Buch „1984“ enthält. Haase liest das Buch und leiht das auch zwei Bekannten aus. Er erzählt:

„Also bei uns ist es ähnlich, habe ich geschrieben, habe Beispiele genannt, George Orwell, Zitat: ‚Was immer die Partei für Wahrheit hält ist Wahrheit. Es ist unmöglich, die Wahrheit anders zu sehen als mit den Augen der Partei. Zu guter Letzt würde die Partei verkünden, dass zwei und zwei gleich fünf seien und man würde es glauben müssen.‘“





Ein in Zentralperspektive aufgenommener Gebäudekomplex. (imago / teutopress)Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, die Stasi-Hauptzentrale, in der Berliner Normannenstraße – hier in einer Aufnahme von 1997. (imago / teutopress)

 

Was Baldur Haase damals nicht weiß: Der Staatssicherheitsdienst der SED liest seine Briefe von und an Rainer Markgraf mit. Und sein Schwager, ein inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, meldet den Genossen, Haase habe ein verdächtiges Buch:

„Ich nehme an, die Stasi hat mir eine Falle gestellt. Vielleicht haben die vermutet, dass ich eine Gruppe bilden will, eine illegale Widerstandsgruppe, dass man das Buch jetzt verbreitet und irgendwie etwas damit will. Und darum bin ich von der Stasi ein Dreivierteljahr beobachtet und überwacht worden – bis zu meiner Verhaftung am 13. Januar 1959.“

 

Die DDR hielt „1984“ für antisowjetische Propaganda

Zunächst glaubt der junge Mann an ein Missverständnis – alles würde sich klären. Doch dann erlebt er die Stasi-Untersuchungshaft – und fühlt sich an Orwell erinnert:

„Was meine Vernehmung bei der Staatssicherheit betrifft, ist das ja auch fast identisch mit dem, was ich erlebt habe: ‚Wir werden sie leer pressen und dann mit unserem Gedankengut füllen‘, sagt der Vernehmungsoffizier. Aber die Staatssicherheit war sich ja gar nicht mal schlüssig, wie man damit zu verfahren hat. Deswegen hat die Staatssicherheit Gera am 27. September 1958 ein Gutachten zu diesem Buch beauftragt, vom Deutschen Institut für Zeitgeschichte.“

Das Institut untersteht der Staatspartei SED. Es kommt zu dem Schluss, „1984“ sei nicht nur staatsgefährdend, sondern stelle feindliches, besonders gegen die UdSSR und alle sozialistischen Staaten gerichtetes Material dar. Die Verbreitung und jeder Vertrieb sollen unter allen Umständen beobachtet und mit allen staatlichen Mitteln verhindert werden. Eine ähnliche Einschätzung hatte – ganz privat – der Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher, in sein Tagebuch eingetragen:

„Heute schwelgt man in utopischen Orgien von Grauen. Orwells ‚1984‘. Auch so bereitet man das Grauen vor. Indem man es exakt und als unausweichbar schildert, als Schicksal. Vom Frieden der Menschheit hat die Dekadenz nichts zu erhoffen. Erfahre soeben vom Tod von Orwell. Aufgenommen wie die Nachricht vom Tod eines Menschheitsfeindes.“
- aus J.R. Bechers Tagebuch, Eintrag vom 24. Januar 1950





Orwell fühlte sich von Konservativen vereinnahmt

Oliver von Knebel Doeberitz erklärt: „Im Westen Deutschlands und auch im Westen Europas verstand man ‚1984‘ bereits unmittelbar nach seinem Erscheinen als eine literarische Abrechnung mit dem real existierenden Kommunismus sowjetischer Prägung. Mit Hilfe des Buches konnte man sehr gut auf die Gefahren von totalitärer und kommunistischer Herrschaft hinweisen und somit natürlich auch die eigenen politischen Überzeugungen wunderbar legitimieren. Dementsprechend galt Orwell schon sehr früh als intellektuelles Bollwerk gegenüber dem Osten.“

Eine Interpretation, die Richard Saage, früher Professor für Politikwissenschaft in Göttingen und Halle, allerdings für problematisch hält: „Orwell war wohl Zeit seines Lebens ein Gegner des Totalitarismus, aber er bekannte sich stets als demokratischer Sozialist, so in einem Brief an einen amerikanischen Gewerkschafter, in dem er sich dagegen verwahrt, vom konservativen Lager vereinnahmt zu werden.“

Richard Saage ist Verfasser des vierbändigen Werkes „Utopische Profile“ – eine Geschichte der Utopien von der Antike bis heute.

„Dann gab es natürlich die Lesart der kommunistischen Intellektuellen. Die haben versucht, diesen Text zu psychologisieren und zu personalisieren. Sie stuften ‚1984‘ auf einen Text herunter, der Ausfluss der Fantasie eines todkranken Mannes ist, der diesen Roman in der finalen Phase seines Lebens zu Papier gebracht hat – Orwell ist ja dann nach Erscheinen des Bandes gestorben.“

 

Im Gerichtssaal angeschrien

Baldur Haase erzählt: „Ich habe also in einem Brief an Rainer geschrieben: ‚Sie – also die SED – Sie verkörpern die Apostel einer Ideologie, die von sich behauptet, Deutschland, Europa und der ganzen Welt das ewige Glück bringen zu können und die sogar die Zukunft der Menschheit mit Parolen und Transparenten weissagen möchte. Das selbstständige Denken schaltet man aus.“

Solche offenen Worte – geschrieben in einem privaten Brief – werden Baldur Haase zum Verhängnis: 

„Diese Gerichtsverhandlung am 28. April 1959 war für mich eigentlich mit das Schlimmste, was ich erlebt habe. Ich wurde angeschrien, meine Eltern sind beschuldigt worden, die hätten mich versaut, versäumt, mich zu einem sozialistischen Bürger zu erziehen. Der Staatsanwalt und der Richter haben mich angeschrien. Ich habe dann tatsächlich bei dieser Gerichtsverhandlung geweint. Das war denen aber egal. Die haben tatsächlich geschrien, es war also keine normale Kommunikation.“

Winston Smith saß in einer fensterlosen Zelle. So also sah es im Ministerium der Liebe aus. Sie führten ihn in ein leeres Zimmer.
„Warum, glauben Sie, sind Sie hier, Smith?“
„Um Geständnisse abzulegen.“
„Nein, Smith, uns liegt nichts an Geständnissen, uns liegt daran, Ihr Gehirn, Ihre Seele für uns zu gewinnen, ha.“
- aus dem Radiohörspiel „1984“ nach George Orwells Roman (RIAS, 1949)

Baldur Haase wird vom ersten Strafsenat des Gerichtes in Gera zu drei Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt. Wegen Besitzes und Verbreitung staatsgefährdender Literatur. Er sitzt zwei Jahre im Zuchthaus Waldheim ein, wird vorzeitig entlassen.

 

Anpassung als Überlebensstrategie

Von seiner Entlassung an lebt er als angepasster Bürger in der DDR, kann im Kulturbereich sogar eine neue Karriere beginnen. Nach 1990 schreibt er ein Buch über seine Erfahrungen. Er hat eine Ausstellung und Konferenzen über Orwell und die DDR mit organisiert, hält als Zeitzeuge Vorträge vor Schulklassen.

„Winston Smith sagt: ‚Immer mit den Wölfen heulen ist meine Parole, es ist die einzige Möglichkeit, ungeschoren zu bleiben.‘ Ja, das ist auch meine Parole gewesen von 1961, nach meiner Entlassung, bis 1990. Immer mit den Wölfen heulen, wie Winston. Wie O‘Brien einmal sagt, genau das trifft auch auf mich zu: ‚Wir vernichten nicht nur unsere Feinde, sondern machen andere Menschen aus ihnen!‘

„Der Wahlspruch der Partei lautet: Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit. Wer die Gedanken kontrolliert, kontrolliert die Realität!“
- aus dem Radiohörspiel „1984“ nach George Orwells Roman (RIAS, 1949)

 

Die westdeutsche Volkszählung in den 80ern

Anfang der 80er-Jahre wird Orwells Buch in der Bundesrepublik viel gelesen. Es ist die Zeit der beginnenden elektronischen Datenverarbeitung und der ersten behördlichen Zentralcomputer. Eine Ahnung davon gibt das Stück „Computerwelt“ der Synth-Pop-Gruppe Kraftwerk:

 

 

Eine Volkszählung steht an und polarisiert die Gesellschaft: „1984 war ja zufällig ganz in engem zeitlichem Zusammenhang zu der Volkszählung in Westdeutschland“, sagt Peter Schaar, ehemaliger Datenschutzbeauftragter der Bundesrepublik.

„Und dort gab es eine ganz massive Kritik an diesem Projekt, dass da Zähler nach Hause kommen und nach diesem und jenem fragen, sich auch nach den Wohnverhältnissen erkundigen, persönlichen Beziehungen und sonstigen Verhältnissen. Und dass das dann zentral erfasst wird, dagegen richtete sich dann eine Volkszählungsboykottbewegung. Und deren zentrales Logo war eben ‚1984‘.

„Wir fürchten, dass auf der Grundlage dieser Daten eine Verdatung der gesamten Bevölkerung angestrebt wird, auf deren Grundlage eine soziale Kontrolle der Bevölkerung angestrebt wird. Ich rufe die Bevölkerung auf, sich an dieser Volksdatenerhebung nicht zu beteiligen!“
- Hans-Christian Ströbele, 1983

Hans-Christian Ströbele, damals Rechtsanwalt und Politiker der Alternativen Liste in Westberlin, erinnert sich heute an diese Zeit:

„Dieser Roman von Orwell war für uns natürlich eine Erinnerung, die wir immer als Beispiel gebracht haben und geschildert haben, dass das der Anfang einer Entwicklung sein kann zum vollständig kontrollierten und deshalb gegängelten Menschen. Mit den schrecklichen Folgen, die dann in dem Roman geschildert werden, dass die Menschen alle gleich gemacht werden, dass sie keine Freiheit mehr haben und dass das Individuum untergeht in der Masse, die der ‚große Bruder‘ manipuliert.“





„Eines der Bücher, die man gelesen haben sollte“

Rena Tangens, Datenschutzaktivistin vom Verein Digitalcourage „fand es spannend, wie Orwell das auch psychologisch ausgebreitet hat und wie sich der Widerstand in jemandem entwickelt und weiterentwickelt und wie lange das funktioniert und was danach passiert ist. Das Buch kann Albträume auslösen.“

Orwells „1984“ zählt für sie – neben Kafkas „Prozess“ und Huxleys „Schöne neue Welt“ – zur Basislektüre für mündige Demokraten.

„Es ist eines der Bücher, die man gelesen haben sollte. Die Idee eines totalitären Staates ist ja nicht weg, die gibt es in viel mehr Staaten als wir das so wahrhaben wollen, wo totalitäre Herrscher an der Macht sind. Die üben das genau in dieser Art und Weise aus. Deswegen finde ich, dass das nicht veraltet ist, auch wenn wir uns hier im Westen in Europa so sicher fühlen und denken, Demokratie wird ewig da sein, das sei eine lineare Abfolge und das sei jetzt alles gut.“

 

Luftaufnahme eines Fußballplatzes, auf dem ein Spiel stattfindet. BVB-Platzwarte haben auf den Platz den Satz geschrieben: "Der Bundespräsident boykottiert und sabotiert die Volkszählung nicht!", wobei die Wörter farblich so gestaltet sind, dass die Wörter "boykottiert und sabotiert die Volkszählung" besonders hervorgehoben sind. (imago sportfotodienst / Sven Simon)Auch beim Fußball wurde 1987 gegen die anstehende Volkszählung protestiert. (imago sportfotodienst / Sven Simon)

 

Rena Tangens, Hans-Christian Ströbele und tausende andere verweigerten sich der Volkszählung. Die war in der Bundesrepublik eigentlich schon für 1981 geplant, der Termin musste dann auf 1983 verschoben worden. Das breite Widerstands-Bündnis erwirkte, dass schließlich das Bundesverfassungsgericht signifikante Änderungen des Erhebungsverfahrens anmahnte. 1987 wurde die Datenerhebung durchgeführt, mit deutlich mehr Rücksicht auf den Datenschutz als ursprünglich geplant.

 

Sozial-Technologien der totalen Überwachung

Was Orwell visionär beschreibt, sind die Mechanismen des totalen Überwachungsstaates. Was er noch nicht im Blick haben konnte, sind die Techniken, die in der nahen Zukunft dafür bereit stehen würden.

Eine Partei mit Allmachtsanspruch und kapitalistischer Wohlstandsproduktion: China bedient sich heute digitaler Überwachungstechniken, deren Effizienz Orwells düsterste Visionen weit übertrifft. In der westchinesischen Provinz Xinjang werden ungefähr zehn Millionen Angehörige der muslimischen Bevölkerungsgruppe der Uiguren total überwacht.

 

Eine Überwachungskamera erfasst automatisiert Gesichter und zeigt Informationen zu den erfassten Personen an. (imago/Kraehn)Avancierteste Technologie: Überwachung ist in China – auch auf der Straße – buchstäblich Alltag. (imago/Kraehn)

 

Dazu Rena Tangens dazu:

„Bei denen wird eben auch mit Videoüberwachung und Gesichtserkennung registriert, ob jemand mehr als 300 m vom üblichen Weg zwischen zu Hause und der Arbeit abweicht und wenn das der Fall ist, gibt es einen Alarm bei der Polizei. Genau diese Bevölkerungsgruppe ist auch komplett erfasst worden mit einem DNA-Test und einem Iris-Scan und das alles ist im Rahmen eines sogenannten freiwilligen und kostenlosen Gesundheitstests gemacht worden und dort ist also schon eine Komplettüberwachung in place."





Chinas „Social Scoring“ – eine „Horrorvision“

Der chinesische Überwachungsstaat ziele aber nicht nur auf verdächtige Minderheiten, sondern ziele auf die gesamte Bevölkerung – darauf weist der ehemalige Datenschutzbeauftragte Peter Schaar hin:

„Die Technologie, die dabei eingesetzt wird, ist sicherlich sehr viel leistungsfähiger als sich das Orwell seinerzeit vorstellen konnte. Wenn ich mich recht erinnere, konnte man da ja noch aus dem Blickfeld der Überwachungskameras entfliehen. Das ist heute sehr viel schwieriger möglich.

Aber das eigentliche Horrorszenario, das mit „1984“ durchaus vergleichbar ist, ist der chinesische Weg, wo die Überwachung ganz bewusst dazu eingesetzt wird, um ein Wohlverhalten, eine Anpassung der Menschen zu erreichen. Da gibt es ein social scoring system, mit dem schon viele Millionen Chinesen erfasst werden. Im nächsten Jahr soll jeder Chinese ein entsprechendes Punktekonto haben. Da wird dann derjenige belohnt, der Wohlverhalten zeigt, die Staatspartei lobt oder sich mit den Werken des großen neuen Vorsitzenden auseinandersetzt. Bestraft wird derjenige, der bei Rot über die Ampel geht, eine Straftat begeht oder aber auch eine unwillkommene Kritik äußert.

Das ist eine Horrorvision, denn dieser Punktestand bleibt nicht ohne Konsequenzen. Es erfolgt ein Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben, wenn man einen schlechten social score hat. Das ist viel flexibler und viel brutaler als die klassische Unterdrückung, bei der es im Grunde genommen darum geht, dass diejenigen dann offen mit Repression zu tun hatten. Hier ist diese Repression auch auf einer latenten Ebene allgegenwärtig und wirkt sich so aus, dass man praktisch nicht reisen kann, dass man keine Wohnung findet, keinen qualifizierten Arbeitsplatz bekommt.“

 

Ein-Partei-Herrschaft und Monopolkapitalismus

Chinas KP perfektioniert, was Orwell in „1984“ vorgedacht hat. Sie nutzt den strategischen Vorteil bei der Durchsetzung des totalen Überwachungsstaates: die unangefochtene Herrschaft der Partei seit den Zeiten Orwells.

Dass sie es geschafft hat, unter der roten Fahne die kommunistische Mangelwirtschaft zu überwinden und durch ein profitables kapitalistisches Produktionssystem zu ersetzen, verschafft China Ausstrahlungskraft in aller Welt, auch in liberalkapitalistischen Staaten des Westens. Demokratie und Autonomie der Bürger gelten nicht mehr automatisch als Voraussetzungen für kapitalistische Wohlstandsmehrung. 

 

Frontalansicht eines wuchtigen Baus mit kommunistischer Emblematik, davor einige chinesische Besucher. (imago / ITAR-TASS / Artyom Ivanov)Die Große Halle des Volkes: Der zentrale Repräsentationsbau Chinas in Peking. (imago / ITAR-TASS / Artyom Ivanov)

 

„Wir haben das bei Digital Courage früher auch gedacht“, erklärt Rena Tangens, „dass sich tatsächlich die Gesellschaft zum Positiven ändert, also der PC gibt uns Freiheit, wir können selber Dinge erschaffen, wir können selber veröffentlichen, wir können uns mit Menschen austauschen, die wir noch nicht kannten und wir haben einfach sehr, sehr viel so viele positive Aspekte gesehen und etliche davon sind ja auch tatsächlich eingetreten.

Nur, ich glaube, was wir übersehen haben, sind dann die großen Wirtschaftsunternehmen, die dann daraus entstanden sind oder da drauf gesprungen sind und sich dessen bemächtigt haben. Ich erinnere mich noch genau an die ersten Spam-Mails, die in unseren Newsgroups auftauchten. Die waren von einer US-amerikanischen Rechtsanwaltskanzlei, die einem Hilfe bei der Greencard-Lotterie anbot, was völlig unsinnig ist, wirklich auch Betrug. Das braucht man nicht, man muss nämlich einfach nur ein Formular ausfüllen und fertig. Und dann kamen Firmen wie AOL, die in jeden Briefkasten Gratis-CDs geschmissen und damit den Eindruck erweckt haben, es gibt alles gratis. Wir haben unterschätzt, welche Macht die Wirtschaft an dieser Stelle entfalten konnte und dass deren Ideal nicht der freie Wettbewerb ist, sondern eben der Monopolkapitalismus.“

 

Ein Preis gegen die Verdatung der Gesellschaft

Rena Tangens und ihr Verein Digitalcourage engagieren sich seit 1987 für Grundrechte, Datenschutz und demokratische Werte im digitalen Zeitalter. Seit dem Jahr 2000 verleihen die Bielefelder Aktivisten die Big Brother Awards. In den Kategorien: Politik, Technik, Kommunikation, Arbeitswelt, Behörden und Verwaltungen.

Zweck der Awards ist vor allem, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren für die Gefahr einer rasant zunehmenden Verdatung der Gesellschaft.

Im Juni 2019 ging einer der Preise an den Hessischen Innenminister, Peter Beuth (CDU). Die „Laudatio“ hält diesmal Rolf Gössner, Publizist und Anwalt für die Internationale Liga für Menschenrechte, eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation:

„Er erhält den Negativpreis, erstens, für die bundesweit erstmalige Anschaffung einer Analysesoftware der CIA-nahen Firma Palantir. Zweitens, dafür, dass diese umstrittene US-Firma über Einsatz und Betrieb der Software Zugang zum Datennetz der hessischen Polizei erhält. Und drittens, dafür, dass mit dieser Analysesoftware Massendaten aus polizeieigenen und externen Quellen in Sekundenschnelle automatisiert verknüpft, analysiert und ausgewertet werden können – mit fatalen Auswirkungen auf Grundrechte, Datenschutz und Rechtsstaat.“

 

CIA-Software bei der Polizei Hessen?

Aufgrund seiner Arbeit wurde Gössner 38 Jahre lang rechtswidrig vom Verfassungsschutz überwacht.

„Der hessische Innenminister Peter Beuth ist dafür verantwortlich, dass die US-Firma Palantir beauftragt worden ist, ihre Analysesoftware ‚Gotham‘ im IT-System der hessischen Polizei zu installieren und in Betrieb zu setzen. ‚Hessen-Data‘ ist ein Dammbruch für die polizeiliche IT-Arbeit: Bislang waren die Polizeidaten-Bestände der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr nicht miteinander verknüpft, weil personenbezogene Daten aus datenschutzrechtlichen Gründen prinzipiell nur für den Zweck verwendet werden dürfen, für den sie erhoben wurden – also entweder für Strafverfolgung oder für Gefahrenabwehr. Dieser Zweckbindungsgrundsatz wird mit ‚Hessen-Data‘ aufgehoben, über den Haufen geworfen.“

 

Peter Beuth verlässt einen Wagen und rückt seine Kleidung zurecht. (picture alliance/Ronny Hartmann/dpa-Zentralbild/dpa)Ausgezeichnet mit dem „Big Brother“-Award 2019: Hessens Innenminister Peter Beuth, hier zu Beginn der Innenministerkonferenz in Magdeburg. (picture alliance/Ronny Hartmann/dpa-Zentralbild/dpa)





Die Software-Firma Palantir des PayPal-Mitgründers Peter Thiel gilt als „Schlüsselfirma in der Überwachungsindustrie“. 2004 mit finanzieller Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA gegründet, versorgt die Firma CIA, FBI, NSA, Pentagon, Marines und Airforce. Peter Thiel sitzt zudem im Aufsichtsrat von Facebook und hat Donald Trumps Wahlkampf mit über einer Million US-Dollar unterstützt. 

Gössner weiter in seiner „Laudatio“:

„Die hessische Polizei beauftragte also diese hoch umstrittene Überwachungsfirma damit, ihre Polizeidatenbanken mit Social-Media-Daten und anderen externen Dateien zu verknüpfen und zu analysieren. Es ist dabei keineswegs auszuschließen, dass vertrauliche Polizeidaten aus Hessen in die USA abfließen könnten – zumal bis zu sechs Software-Entwickler der Firma mit eigenen Laptops die Analysesoftware installierten, sie für die hessische Polizei betrieben und Servicezugriff haben.“

 

Vor der DSGVO hätte Orwell seinen Hut gezogen

Hier ist der Staat das Problem. Hinzu kommt in der globalen Welt der Plattformökonomie (von Facebook bis HRS oder getyourguide) der Zugriff der Konzerne auf eine Flut privater Daten und ihre wirtschaftliche Verwertung. Dass die EU hier mit der Datenschutz-Grundverordnung eingegriffen und den Datenzugriff rechtsstaatlichen Regeln unterworfen hat, gehört zu den herausragenden Leistungen der Europäischen Union. George Orwell würde wohl den Hut ziehen.

Rena Tangens dazu:

„Politikerinnen und Politiker, die denken, dass sie diese Informationen über die Bevölkerung vielleicht mal brauchen könnten, sind geneigt, dem Überwachungskapitalismus wenig entgegenzusetzen. Und der Überwachungskapitalismus ist ein Raubtierkapitalismus, der nimmt, was er kriegen kann, solange keine Grenzen gesetzt werden.

Wir sollten sehr froh sein über die europäische Datenschutzgrundverordnung und uns nicht von dem kleinlichen Genörgel anstecken lassen, denn eigentlich hat sich für uns von unserer Seite her wenig geändert, wenn wir uns zuvor schon laut Bundesdatenschutzgesetz korrekt verhalten haben, dann sind wir auch okay mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung. Aber für die Firmen ist es jetzt eine andere Sache und es wird richtig teuer, wenn sie erwischt werden.

Ich finde es auch großartig, dass unsere EU-Wettbewerbskommissarin jetzt schon zum dritten Mal eine richtig hohe Strafe über Google verhängt hat, weil sie ihre Marktposition ausnutzen. Das ist die Sprache, die Firmen verstehen und ich denke dass wir an der Stelle noch gut zulegen können.“

 

Die Systemfrage der liberalen Demokratien

Klar ist: Die digitalen Überwachungstechniken sind bisher erst im Ansatz entwickelt. Was alles möglich sein wird, ahnen wir so wenig wie George Orwell 1949 die Digitalisierung voraussehen konnte. Daher geht es für den Datenschützer Peter Schaar – einstmals von Orwell inspiriert – heute um eine Systemfrage in den liberalen Demokratien:

„Mir und auch vielen der Kritiker geht es darum, Informationsgesellschaft so zu gestalten, dass Sie unseren Wertvorstellungen, unseren Grundrechtskatalogen, wie wir sie im Grundgesetz und innereuropäischen Grundrechtecharta verankert haben, entsprechen. Das ist der entscheidende Punkt. Das geht nur, wenn man auch in einem gewissen Umfang konfliktbereit ist und nicht einfach alles, was im Interesse einiger Wirtschaftszweige ist, kritiklos übernimmt.“


Quelle:deutschlandfunkkultur


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